EMA & Co. vs. Trendhandel

Einhundertsechsundzwanzig Chancen Recht zu behalten

In Webinaren erwähne ich immer wieder, dass ich von EMAs nichts halte. Manch einer mag das vielleicht nicht hören und hat da eine andere Meinung oder ist womöglich sogar verärgert. Um das mal an einem Beispiel zu begründen, führe ich das mal etwas genauer aus.

Nun, es ist so, dass ich schon vor einigen Jahren versucht habe, eine automatisierte Handelsstrategie anhand von EMAs und SMAs zu programmieren. Hier wurde wirklich alles getestet, alle möglichen Timeframes und und alle denkbaren Varianten von SMA oder EMA. Allen voran die gängigen SMA 12, 20, 50, 200 sowie EMA 21 und EMA 200, aber auch Exoten wie SMA 168 etc. Direkte Abpraller, Rücktest nach Schlusskurs darüber etc. pp. Es ist ja nicht so, dass mir diese strategischen Ansätze nicht allesamt bekannt wären. Resultat nach hunderten Tests und tausenden Stunden Rechnerzeit: Es existiert kein reproduzierbarer Handelsansatz.

Allein dieses Wissen, das die meisten nicht haben dürften, reicht für mich aus um mich in dieser Haltung sicher zu fühlen. Wer diese belegbaren Resultate aber nicht hat, findet stattdessen immer wieder im Chart vermeintliche Beweise, und damit die Überzeugung, dass ja doch was dran sein müsste. Hier steht aber die subjektive Wahrnehmung gegen nicht reproduzierbare Resultate. Und bis heute ich keinen solchen Ansatz finden, wie man denn einen EMA oder SMA mit einem positiven Erwartungswert handelt. Und daher muss meine Überzeugung auch die sein, dass sie keine Rolle spielen.

Hier vergessen wir auch mal nicht, dass, wenn man nur die obigen Standard-SMAs und EMAs her nimmt und auch nur die sieben Standard-Timeframes (M1-D1), wir bereits bei einer Anzahl von 42 Kurven im Chart sind. Zweiundvierzig! Und damit nicht genug. Im DAX haben je nach Indikation auch 3 verschiedene Zeiträume. Das heisst, dass wir zu bestimmten Zeiten diese 42 mit 3 multiplizieren müssen, also 126 Kurven bzw. Punkte haben. Und dann gibts noch die ganz speziellen und geheimen SMAs und EMAs. Mit jedem weiteren kommen also 21 Punkte dazu. Und wenn man dann noch die Timeframes auf M2 oder M10 etc. erweitert, sind wir längst bei über 200 Möglichkeiten.

Die Chance, dass also einer dieser 42 – 200 Indikatoren reagiert, ist ungefähr so hoch, wie wenn ich ebenso viele beliebige Linien irgendwo hin zeichne und mir dann anschliessend einrede, diese oder jene wäre der Grund gewesen. Faktisch, und das ist in Anbetracht dieser Zahlen schwer von der Hand zu weisen, spielt Kollege Zufall hier mit aller Wahrscheinlichkeit die wohl größte Rolle.

Aber, es gibt auch Situationen, wo ein EMA vermeintlich eine Rolle spielt.

Perspektive #1

Dazu ein beliebiges Beispiel im DAX von heute, 23. Januar 2020. Wenn man sich den EMA 200 im Bild ansieht, sieht es aus, als wäre er angelaufen worden. Aber hier muss man fragen: Wo ist die Logik? Der M5 läuft dran, schliesst drüber, läuft hoch, doch nicht weiter, schliesst drunter, kommt zurück etc. Ergo: Erstmal keine Logik.

Was in diesem Beispiel viel besser erkennbar eine Rolle spielt, ist der Trend. Und für mich sieht es so aus, als wäre der EMA perfekt geeignet, um die Händler, die daran glauben, in die Irre zu leiten. Faktisch haben wir hier einen Short-Trend, und der EMA 200 liegt an der Oberkante des Trends bzw. knapp darunter. Der Markt aber hat versucht den Trend zu knacken, und der EMA 200 war hier zufällig in der Nähe. Eigentlich hätte er perfekt gelegen, um daran zu drehen. Aber, da Retailer gerne den EMA handeln, ist womöglich genau das nicht passiert.

Schaut man aber mal zurück, wenn auch nicht in diesem Bild, wir man jedoch auch viele Situationen finden, wo der Kurs knapp vor einem EMA dreht oder einfach durch läuft. Woran liegt das? Meines Erachtens ganz einfach daran, dass der EMA nicht zum Trend gepasst hat, dafür aber einer von den anderen 199 Kandidaten vermeintlich das Rennen gemacht hat. Ganz nach dem Motto: Einer ist immer da, und der wars dann.

Wo ein EMA 200 tatsächlich gerne mal passt, und das ist der einzige Grund warum ich sie üblicherweise im Bild habe, ist beim Stop-Fishing, oben wie unten. Wie kann das sein? Naja ich vermute hier mal ganz einfach, dass es natürlich auch größere Händler gibt, die auf den EMA bauen und im Prinzip den gleichen Irrtümern unterliegen können wie alle anderen auch. Also dann funktioniert es doch? Naja, nur weil ein Händler größer ist, heisst das noch lange nicht, dass dieser besser ist als ein Retailer. Er bewegt aber den Markt an der Stelle, wo er sich positioniert, und deshalb gibt es dann auch eine Reaktion. Ob die restlichen Marktteilnehmer aber dann lange folgen, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Perspektive #2

Ich spiele das Szenario auch mal im M15 weiter. Hier sieht man, dass der SMA 50 reagiert hat. Dann wurde er überboten, getestet, und hat doch nicht gehalten. Der Trend ist der gleiche wie im M5: Short. Und die Trendgrenze ebenfalls. Hinzu kommt sogar das Value Area High. Im Umkehrschluss bedeutet das doch, dass ein Trend eine klare Linie bietet, die auch nicht im Markt umher wandert. Also eine Konstante, während jeder gleitende Durchschnitt eine Variable ist. Ich persönlich finde das um einiges greifbarer und vor allem einfacher, als mit Kurven zu hantieren, die sich permanent verändern.

Es kann jeder seine eigene Meinung haben, keine Frage, ich empfehle aber jedem – dringend – subjektive Wahrnehmungen abzulegen. Das gelingt aber nur, wenn man Ansätze, von denen man glaub sie taugen etwas, im Backtest auf den Prüfstand stellt und sich selbst überzeugt. Das gilt natürlich auch für alle andere Ansätze. Und wenn man zu dem Schluss kommt, dass das vielleicht doch so nicht stimmt wie man immer dachte, dann sollte man sich davon befreien. Auch wenn derart kontroverse Aussagen manche vielleicht sogar provozieren, ich betone immer wieder: Meinungen haben im Trading nichts zu suchen. Und der einzige, dem man beweisen können muss, dass man im Recht ist, ist man selbst.

Fazit

The trend is your friend. Auch keine wirklich neue Erkenntnis. Aber, wenn schon ein klarer Trend vorliegt, wie in diesem Beispiel, dann folge ich dem und versuche mich nicht an Anekdoten mit Indikatoren und schon gar nicht folge ich meiner Meinung.

PS: Backtesting mit dem StereoTrader

Manuell backtesten kann man seine Ansätze übrigens mit dem StereoTrader im History-Trading im MT4. Hierzu gibt es auch zahlreiche Videos bei YouTube.

Nachtrag

Die obige Beschreibung ist in Echtzeit am Markt erstellt worden, und gehört damit nicht in die Kategorie der nachträglichen Erklärungen, auch wenn das hier und jetzt natürlich schwer nachvollziehbar ist. Zweifler dürfen aber gerne den Echtzeit-Content dazu im Traders Club StereoTrader, also der Facebook-Gruppe, dazu überprüfen.

Der weitere Verlauf hat sich im übrigen wie folgt dargestellt, ist also ganz einfach dem Trend weiter gefolgt.